Mittwoch, 9. Januar 2013

Busfahrt

Ah, willkommen, seid alle herzlich willkommen. Ihr, meine Gesichter, ich grüße euch, ihr weckt den Strom in mir, ich muss mich vor Nervosität zurechtrücken.. Ihr seid weit hergekommen: Aus Sümpfen gekrochen, packt ihr eure modrigen Unterseiten auf diese weichen Sitzkissenbezüge. Ihr seid erlesen, aus zuckenden Salzlachen gefischt, wie man euch mir, besser, wie ich mich euch entrissen habe, euch in Zeit und Raum verlor, so steht ihr noch immer mit Trennungsschmerz in den Zügen vor mir. Gesucht ward manchmal ihr von mir, oft auch mit gespreizten Mundwinkeln hinterher sehnend oder lachend, dröhnend laut brummend, penetrant sich wegwerfende Felder zur Linken, hechtsprüngige Wiesen, mit geschliffen gezogenen Wäldern zur Rechten. Panoramablicke aus Fliegen beschmierten Scheiben seid ihr, solange wir auf der Autobahnbusfahrt Gas geben, gebt ihr euer Bestes. Zeit schmeißt ihr weg, da ihr mich beglückt, und zornig wird der Himmel, oh nein, achte mehr auf's Wimmern, rastloses Auge: weint sie, die Natur, träufelt, weggewischtes Besorgen, denn Scheiben sind zum Durchschauen da und dort der Scheibenwischer wischt.
Doch worüber? Über Tränen, ja, doch Tränen worüber?
Über den verlorenen Knaben der sich selber sehend, sich seinen verflossenen Gesichter stellen müssend und ach der Liebe sehnend, dies als Zufälliges, als glückliches Können aufnimmt?
Es weint die Landschaft, meine, die draußen, es regnet, die Scheiben schmelzen weiterhin, oder nur Glas? Uns schütz also das Wasser? Die Regenplatte? Vor dem Wind und dem sich von uns Spiegelnden.
Uns, das sind: vollkörnig- lederne Durchhaltewangen, fettig silberne Kreuzworträtselmädels, blassblaue Kindersandalen, strukturbemühte Halbstarke, Vollstarke, Dialektstarke, Föhnfrisuren bis hin zu Fähigkeitsfrisuren, ungeduldige Ganggänger und Frontscheibenglotzer. Nun, in diesem kubischen Ich- Cocktail, diesem zeitlich sowie örtlich begrenzten Spiegelkabinett sollte ich mich doch richten, wenn schon nicht unterrichten können, oder?
Alte Floskeln, gewohnte Butterstullen, aufgewärmt Fremdes, aber vor allem abgelebte Neugierigkeit fässt sich in diesem Gefährt lauwarm grau an, wie abgenutztes Kinderspielzeug.
Dieser Plüschteddybär riecht muffelig, ja er beschert mir grizzlygroße Durfallgefühle.
Wieso kann man über abgeworfene Kleider nicht lachen?
Ja, der Nacken stellt sich- Zickzack- auf, ob Zeitungen oder feste Blick, ob Objekt oder nicht vorhanden, nicht nur bei mir, die Unterhosen zurren sich fest, möchten fremd bleiben, unter und bei sich, fremde Gerüche sich unerwünscht, zu Hause weiß man mehr, wem Hygenegefühl fehlt, reagiert man mit Langeweile.
Mottoliebende Mattscheiben bleiben aus, man kann ja nicht mal Livesendungen Linien getreu aufnehmen, geschweige denn für voll oder verarbeiten.
Sei es die örtliche Lawine außerhalb von innen, oder die nach außengestülpte Innerlichkeit auf den restlichen Sitzmöglichkeiten. Generell gilt: außer mir bleibt alles Rest.

Man kann Getränke bestellen.
Heiß, kalt oder ohne Temperatur, man kann aber auch den Nachbarn trinken oder sich mit Hilfe von schnell wechselnden Blicken einen Vollbusen- Halbglatzen- Drink zurechtmachen. Oder lassen. Die Stimmen der Zutaten laden dazu ein.
Nun schafft man es selten, den inneren, sozusagen hauseigenen Kellner davon zu überzeugen. Der Denkprozess landet im Mülleimer. Das Gehirn hat Sperrstunde, sobald die ersten Sinngäste betrunken sind. Lebt man trocken oder anonym, lassen sich in dieser Reisegesellschaft auch präzisere Rauschvarianten kreieren: Musische Drogen. Man wählt bei den wahlweise aus Stöpseln oder Ohrmuscheltellern schwappenden Substanzen stets zwischen elektronischem Erzeugnis oder akustischem Naturrohstoff.
Nun, mir wird leicht übel. Durcheinander herrscht vor, auch bei Sprichwörtern, die von Abstürzen wissen. Aber selbst in die größte Passivität zurückgezogen kommt man auch bei derartig rustikalen Tourismusorganisationen nicht an der differierenden Betäubungslaune meiner Ich-Passanten vorbei.. Im emotionalen Sinne gleicht dieser Raum einer einem Stahl-Beton- Konstrukt. Letzten Endes bleibt das Mobil aber freiheitlich- liberal, jeder bleibt steif.
Hingegen geworfene Scherzgefühle, erkitzelt jedoch das periodisch befestigte Klarsichtfolienquadrat, welches zum Ausstieg bei Gefahr ermutigt. Welche Gefahren meine Augen in diesem Zusammenhang darstellen, vermag mir leider kein Serviceteam zu verdeutlichen. Zumindest keins, in dem nicht auch ich betrunken werde, es gilt:
Besoffene Augen brechen Häufiger Beine als Fußballer.
Bevor ich mich hier nun übergebe, er erbricht sich der Bus diesem Gewitter meiner ständig wechselnden Empfindung, man nenne es auch meinen Körper. Wohl dem, der ihn erfassen, und nicht nur durch schwammartige Betastung erdfarben bzw. erfahren kann.
Glitzersternchen berieseln meine glotzenden Zustände (Fahrgäste), in bierbegossener Glückseligkeit dem letzten Kellner suchenden entgegen, und bestelle er auch Butter, man tränke ihm zu, wenn man noch könnte.
Doch jetzt heißt es: Einsteigen bitte.
Was darf ich ihnen bringen?

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