Montag, 16. September 2013

Im Gespräch...


Karin Kant

Da Häng: Wie sah dein Start in das Berufsleben aus?
Karin Kant: Ursprünglich habe ich nach der 10. Klasse eine
Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung absolviert. Damals  noch an Großrechenanlagen, weil es Computer zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab.
Nach der Ausbildung arbeitete ich zwei Jahre in einem großen Rechenzentrum als Operator an so einer Anlage, im rollenden 3 - Schichtsystem. Zwei Jahre nur, weil dann mein erstes Kind geboren wurde und Schichtarbeit nur noch schwer zu organisieren war. Somit wechselte ich an die Berufsschule für Datenverarbeitung. Dort arbeitete ich dann dreizehn Jahre und  unterrichtete die unterschiedlichsten fachspezifischen Fächer,  hauptsächlich Programmierung.
D.H.: Wie alt warst du, als du dein erstes Kind bekommen hast?
K.K.: 21 Jahre, für DDR- Verhältnisse ein übliches Alter.
D.H.: Inwiefern hat sich das heute geändert?
K.K.: Heute ist es meist so, dass ein Großteil der Frauen erst später Kinder gebären. Wobei man sagen muss, dass in den alten Bundesländern Kinder schon immer später geboren wurden. In der DDR waren die Bedingungen für Kinder und Mütter einfach besser, z.B. konnte man nach der Geburt des Kindes und der Babypause wieder problemlos arbeiten gehen. Die Kitaversorgung und die eigene soziale Sicherheit waren gegeben. Somit mußte man sich keine existentiellen Gedanken machen, wenn man schwanger wurde und konnte Kinder gebären, wann man sie wollte und nicht erst darüber nachdenken, ob man sich ein Kind "leisten" kann. In der jetzigen  Zeit ist meine Tochter mit 24 Jahren eine mit Abstand der Jüngsten in den Mütterkursen gewesen. Die sozialen Bedingungen haben sich stark verändert.  Das fängt mit der Suche nach Ausbildungsplätzen an, und zieht sich weiter bei der Suche nach Arbeit, nach eigener Zukunft und Perspektiven. In sozial abgesicherteren Schichten möchte man oft auch erst einen 
bestimmten Lebensstandard erreichen, um sich dann irgendwann einmal Kinder "anzuschaffen". Dies halte ich für bedenklich, ungünstig für die Entwicklung der Kinder. Aber das ist ein strittiges Thema. In den neuen Ländern gab es seit 1990 eine stark rückläufige Tendenz der Geburten.
Aber es gibt noch das andere Phänomen, welches wir hier in der 
mädchenspezifischen Arbeit beobachten können. Sehr junge Mädchen werden Mutter, u.a. auch, um sich über ALG II sozial abzufedern. Sie wünschen sich Familie, weil die Aussichten auf Ausbildung und späteren Job nicht gut sind. Sie suchen ihre Rolle und finden sie dann in "Mutter - sein" und Familie. Das ist wirklich ein Problem, diese Mädchen fallen in uralte Rollenverhältnisse zurück.
D.H.: Was meinst du mit sehr jung?
K.K.: Naja so fünfzehn, sechzehn, siebzehn. Halt noch oft auch vor dem Abschluss der Schule.
D.H.: Wenn sich diese Mädchen dann abgefedert haben, machen sie dann noch etwas oder bleiben die dann Heimchen am Herd?
K.K.: Meistens bleiben sie als "Heimchen am Herd", zumindest besagen das die ersten Statistiken, die es darüber gibt. Diese Mädchen nehmen sich zwar oft vor, etwas an ihrem Leben zu ändern, schaffen es aber nicht. Meistens  folgen weitere Kinder, somit manifestieren sie ihre Mutterrolle und  entwickeln darin ein Stückchen ihrer eigenen "sicheren" Perspektive. Diese  Mädchen versuchen sich abzusichern und versuchen dies indem sie u.a. Männer an sich zu binden. Sie retten sich in diese Gemeinschaft: Familie, was dann oft auch nicht klappt. Wenn dies dann schiefgegangen ist, wird es noch schwerer für die Mädchen. Den Sprung zu schaffen, doch noch eine Ausbildung oder eine Weiterbildung zu finden und dann auch durchzuhalten, schaffen  nur wenige von ihnen.
Für die Betroffenen ist "Familie" ein Rettungsanker: Familie hat mit Geborgenheit zu tun. Die Mädchen sehen in der Familie eine Aufgabe und sie fühlen sich in Gemeinschaft drin und zugehörig.
D.H.: Was hältst du von der immer wiederkehrenden Diskussion von der Doppelbelastung berufstätiger Mütter?
K.K.: Das ist wohl immer eine Frage der Empfindung und der eigenen Herangehensweise. Ich selbst habe das nie als Doppelbelastung empfunden! Vielleicht auch, weil Arbeit und Familie damals normal waren und dadurch war es auch für mich normal. Wenn es eine Doppelbelastung war, habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht.
Die Ebenen, die ich lebte, haben mich gut ausgefüllt. Die Arbeit, die mir Spaß machte, das Fernstudium, weil da immer was Neues hinzu kam und meine Kinder - weil das wie ein Hobby war.
Die Zeit, die neben Arbeit und Studium blieb, habe ich dann natürlich in das Hobby investiert. Insofern war es für mich keine Doppelbelastung.
Diese Diskussion der Doppelastung kommt ja erst seit der Wende. In der früheren BRD war es auch nicht üblich, dass die Frauen neben Kinder und Familie arbeiteten. Diese Frauen können sich wiederum nun nur schwer vorstellen, wie das funktionieren soll, dass man gleichzeitig arbeiten geht und Kinder großzieht und sich vielleicht auch noch weiter qualifiziert. Für sie ist es ganz einfach ein enormes Pensum. Und wenn du in Programmen arbeitest wie Gender Mainstreaming, dann gibt es dort ganz verschiedene Sichtweisen.
Ich wüsste nicht, ob ich das heute noch genauso leben würde, aber ich bin ja auch älter
D.H.: Was ist Gender Mainstreaming?
K.K.: Das hat was mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun. Also dass Geschlechtergerechtigkeit in allen Ebenen durchgesetzt wird. Dass man in den Firmen und auch in der Jugendarbeit die Geschlechter gleichberecht behandelt und gleiche Möglichkeiten für beide Geschlechter schafft.
Das geht hin bis zur Gender Budgetierung, wo Gelder so eingestellt werden, dass dabei geprüft wird,z.B. inwiefern und wie eine Sportfläche von Jungs oder Mädchen genutzt wird. Es muß beachtet werden, dass Frauen mit Kindern eine andere Belastung haben und/oder vielleicht auch andere Arbeitszeiten brauchen als Männer, ob ein Beruf oder eine Tätigkeit genauso interessant für Frauen, bloß aufgrund der Belastung, der Arbeitszeit u.ä. von den Frauen nicht auszuführen ist.
Oder das Gender Prinzip bei Einstellungsgesprächen. Es ist oft üblich, dass ein Mann besonders gern genommen wird, wenn er sagt, er hat zwei Kinder. Aus dem ganz einfachen Grunde, es wird angenommen, wenn er zwei Kinder hat, ist er total gut sozial engagiert und gefestigt. Wenn hingegen eine Frau sich bewirbt und sagt, sie hat zwei Kinder, wird dies negativ bewertet, weil man einschätzt, die Kinder werden immer krank, sie fällt aus, sie hat auch sonst nur geringere Fokussierung auf die Arbeit. Um dem entgegen zu wirken, soll Gender Mainstreaming im top down - Verfahren in der Bundesrepublik durchsetzt werden.
D.H.: Wie sieht deine Arbeit hier in der Jobwerkstatt Mädchen aus?
K.K.: Die Jobwerkstatt Mädchen ist ein Projekt zur Förderung von Mädchen direkt an der Schnittstelle Schule/ Beruf. Also für Mädchen, die eine Ausbildungsstelle suchen oder zur beruflichen Orientierung, um bestimmte Ausbildungen erst einmal zu betrachten. Expliziete Aufgabe der JWM ist es, die Berufswahlkompetenz der Mädchen zu steigern und sie zu qualifizieren. 
Dazu gehört dann eben auch die Begleitung der Mädchen von der Schule zum Beruf.
D.H.: Warum speziell Mädchen?
K.K.: Das hat auch wieder etwas mit diesem Gender zu tun. Speziell im Medienbereich haben sich Männer dermaßen in den  Vordergrund gedrängt, dass sich Mädchen gar nicht erst trauen. Es ist oft so, dass sich Mädchen in diesen Bereichen zurückziehen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass, wenn am Computer irgendetwas nicht läuft, dass nicht das Mädchen den PC aufschraubt und repariert und baut, sondern einer der männlichen Personen kommt und sagt „Ich mach das mal schnell.“  Das heißt ja nicht, dass Mädchen es nicht mindestens genauso gut können, sondern es sich nur nicht zutrauen. In der Regel sind technische Berufe jungsdominiert, was aber eigentlich  unbegründet ist, weil das Grundverständnis von beiden Seiten dasselbe, aber die Förderung es nicht ist. Es gibt zum Beispiel Studien darüber, dass Mathe-, Physiklehrer im Oberstufenbereich hauptsächlich auf die Jungs in den Klassen achten. Dadurch nehmen sich die Mädchen von alleine zur Seite. "Mädchen- Mädchen", wie manche sagen, haben auch ein anderes Verständnis von Mädchen - sein, sie sagen, sie wollen nicht so sein wie ein Junge. Diese Mädchen haben angst, wenn sie sich offen für technische Zusammenhänge interessieren, würden sie nicht mehr in die Mädchen-  Mädchen- Kategorie eingestuft werden, sondern halbwegs kerlig und das wollen sie nicht.
Die Jobwerkstatt bietet hier einen geschützten Raum, in dem sich Mädchen ausprobieren können. Vor allem, weil sie sich nicht aufgrund von irgendwelchen Rollenbildern behaupten müssen. Gerade zwischen 14-17 spielt  dieses Rollenspiel eine große Rolle. Da ist es ganz wichtig, dass sie diese Rolle nicht spielen müssen, sondern so sein können, wie sie sind. Wir haben auch keine Männer im Team, weil das eben diesen Schutzraum  aufbrechen würde. Ich bin jetzt nicht die Emanzenfrau, sondern im normalen Leben ist es ganz wichtig, dass sich beide Geschlechter behaupten können. Aber um sich erstmal behaupten zu können, braucht es vorerst diesen Raum, zum Ausprobieren und zur eigenen Stärkung.
D.H.: Was hast du vor der Jobwerkstatt gemacht?
K.K.: Da war ich Jugendclubleiterin im Cimbernclub in Alt- Glienicke. Dies hat mir totalen Spaß gemacht. Ursprünglich arbeiteten wir mit einer gemischten Altersgruppe von 10 bis 21, später mussten wir die Älteren abtrennen, weil es immer Stress mit den Nachbarn gab. Wir befanden uns inmitten einer Einfamilienhaussiedlung und dort hatten wir einen "tollen Nachbarn", der hat uns ständig das Umweltamt auf den Hals gehetzt, bei allen Diskotheken, Konzerten und Veranstaltungen, dies dann Wochenende für Wochenende. Daraufhin wurde uns dann im so genannten Ghetto, also im Neubaugebiet Altglienicke, ein Container zur Verfügung gestellt, in dem dann Jugendarbeit für unsere Älteren angeboten wurden. Ich bin da gelandet, nachdem die Berufsschule nach der Wende abgewickelt und in die OSZ`s eingegliedert wurde. Per Zufall kam ich da an diesen Jugendclub, hab mich da beworben und wurde auch genommen. Erstmal als Mitarbeiterin. Die ersten Wochen kamen mir vor, als wäre ich dauernd im Ferienlager. Im Gegensatz zur Berufsschule war diese Arbeit völlig anderes. Zwei Monate später ging da der Leiter weg und ich war die Einzige, die die Qualifikation hatte um die Leitung zu übernehmen, so wurde ich  Jugendclubleiterin im Cimbernclub.

D.H.: Ich danke für das Gespräch.

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