Ich schaue auf die Armbanduhr meines Nachbarn.
8.37. Die U-Bahn ist voll. Die beiden steigen zusammen ein. Sind sie
Arbeitskollegen? Aber nein!. Sie trägt einen schweren grauen Mantel,
einen roten Schal, der Lippenstift ist ein wenig zu rot, das Haar
lang. Seins ist schon grau. Viel reden sie nicht auf der kurzen Reise
durch den Untergrund. Sie liest die Berliner Zeitung, während ihn
der Kulturteil des Tagesspiegels vollkommen in seinen Bann gezogen
hat. Die Bahn hält. Menschen strömen hinaus in den kalten
Januartag. Auch sie steht schnell auf um auszusteigen, streift den
Mantel glatt. Sie sagt „Heute Abend beim Inder“ -oder war es „Ich
liebe dich“ ? Sie küsst ihn nicht , sondern wuschelt dem Mann
verspielt durch das Haar- mein Kleiner. Flüchtig nur sieht er auf.
Nach einigem Zögern bleibt sie auf dem hektischen Bahnsteig stehen
und wartet darauf, dass der Blick des Geliebten sie ein letztes Mal
für den heutigen Morgen trifft. Er schlägt das linke Bein über das
rechte und liest den Kulturteil des Tagesspiegels. 4 Sekunden
verstreichen und ich beobachte sie eine Ewigkeit. Endlich dreht sie
sich um und steigt langsam die Treppe hinauf. Ich kann ihr Gesicht
nicht sehen und lächle melancholisch- tief berührt von so viel
Liebe und so viel Enttäuschung in einem Augenblick.
Lisa
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